Paul-Gerhardt-Schule
der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Gymnasium und altsprachliches Gymnasium
für Jungen und Mädchen
mit Internaten
Laubach/Oberhessen 1956
10 Jahre
Paul-Gerhardt-Schule
Im vorigen Jahr feierten wir die 400jährige Schultradition in Laubach. Die von Graf Friedrich-Magnus zu Solms-Laubach nach Einführung der Reformation gegründete Lateinschule hat zu versd1iedenen Zeiten eine neue Belebung erfahren, wie dies in der Festschrift 1955 von Dr. A. Roeschen ausführlich geschildert wurde.
Als nach dem offiziellen Kriegsende am 8.Mai 1945 zunächst keinerlei staatliche Autorität sichtbar war und erst nach Wochen durch häufig wechselnde Dienststellen der Militärregierung wenigstens die persönliche Sicherheit einigermaßen wiederhergestellt war, dachte an Vielen Orten noch lange nicht an Schulen. Aus den Städten waren die Schulen größtenteils in Form von Klassenverbänden auf das Land hinaus verlegt, und wegen der zerstörten Wohn- und Schulgebäude war weder die Rückkehr der Eltern noch der Schüler möglich.
Hessen, das verhältnismäßig früh von den amerikanischen Truppen überrollt war, bekam als erstes deutsches Land im Sommer eine deutsche Zentralregierung, indem die alten Provinzen Starkenburg und Oberhessen unter Einbeziehung wesentlicher Teile von Hessen-Nassau zum neuen Land "Greater Hesse" zusammengefaßt wurden.
Am 15. August 1945 konnte die erste Konferenz des von dieser Landesregierung wieder in Gang gebrachten Realgymnasiums mit der kurzen Tagesordnung "Nachträgliche Osterzeugnisse" stattfinden. Sie beschloß folgendes:
Da eine notenmäßige Würdigung nicht möglich ist, werden den Schülern Bescheinigungen über den Besuch der letzten Klasse ausgestellt. Der letzte Lehrerrat dieser Schule, die die Klassen Sexta bis Obertertia mit insgesamt 85 Schülem umfaßte, fand am 13. September 1946 als Versetzungskonferenz statt. (Der alte hessische Versetzungstermin zu Ostern war 1938 durch Anordnung des Reichsministers für Erziehung für alle Länder auf Herbst verschoben worden.)
Im Laufe des Jahres 1946 konnte die Errichtung von kircheneigenen Schulen in verschiedenen Landeskirchen in Angriff genommen worden, da die vielfältige Not der Zeit und die völlig veränderten Lebens- und Erziehungsverhältnisse diese Aufgabe der Kirchen deutlich sichtbar machten. Zum Unterschied von anderen Landeskirchen konnte die hessische Kirche nicht auf einer bis zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft geführten Tradition aufbauen. Neue Wege mußten gefunden werden, und der damalige Schulreferent der evangelischen Kirche in Hessen fragte in einem den Wiederbeginn derhöheren Schulen allgemein betreffenden Schreiben beiläufig bei dem Ortspfarrer an, ob das ehemalige Laubacher Gymnasium vielleicht als evangelische Schule der Landeskirche errichtet werden könnte. Diesen Gedanken griff Herr Pfarrer K. Schmidt mit Tatkraft auf und schuf in langen Verhandlungen, die sich über ein ganzes Jahr erstreckten, endlich alle Voraussetzungen. In diesen Bemühungen fand er die Unterstützung Seiner Erlaucht des Grafen Georg Friedrich u Solms-Laubach, der sich, ebenso wie sein Großvater es 1875 getan hatte, für die Errichtung einer Vollanstalt einsetzte. Auch der damalige Bürgermeister, Herr Schmidt, half dieses Werk fördern, so daß schon am 1. April i946 ein Vertrag zwischen der Stadt Laubach und der Evangelischen Landeskirche zustande kam. In diesem Vertrag wurde die Landeskirche als Trägerin der Schule bezeichnet, und die Stadt Laubach übernahm die Bereitstellung der Räume im ehemaligen Gymnasium sowie die Kosten für Steuern, Erhaltung der Gebäude, Heizung, Beleuchtung und Hausmeister. Dieser Vertrag war auf Wunsch der Kirchenleitung nur auf zwei Jahre befristet, weil man in Anbetracht des neuartigen Vorhabens zunächst die Entwicklung der Schule beobachten wollte. Die Schule war von vornherein mit einem Alumnat verbunden, dessen Keimzelle zu Anfang des Herbstes unter Herrn Erich Gölz in einer Notwohnung in einigen Räumen des Stifts entstand. Herr Gölz war etwa ein Jahr vor Kriegsausbruch, nachdem er an derTechnischen Hochschule Darmstadt das Referendarexamen mit der Lehrbefähigung für Physik, reine und angewandte Mathematik abgelegt hatte, wegen seiner Tätigkeit in den kirchlichen jugendgruppen nicht in den staatlichen Vorbereitungsdienst übernommen worden. Er trat dann als Physiker bei der AEG ein und kam auf Anregung des Schulreferenten, Herrn Pfarrer Goethe, der ihn aus seiner jugendarbeit kannte, nach Laubach. Die Umstände, unter denen Herr und Frau Gölz damals bei kleinen und großen Behörden Bezugsscheine für Gardinen, Bettwäsche, Betten, Geschirr, Bestecke usw. erkämpften, und die heute unvorstellbaren Mühen, mit denen jeder kleine Fortschritt im neuen Heim erkämpft werden mußte, sind dem Verfasser in lebhafter Erinnerung.
Zunächst hatte die Stadt Laubach den Vertrag vom 1. April 1946 nicht einhalten können. Die Militärregierung hatte das große Schulgebäude beschlagnahmt und die im Herbst 1945 unter Leitung von Studienassessorin Frl. Franke (heute Frau Studienrätin Füßler) begonnenen Klassen Sexta bis Obertertia in das alte Fridericianum verdrängt. ln diesem Gebäude wohnten damals außerdem drei Familien, z. T. noch mit Untermietern, so daß allein aus diesem Grunde die Errichtung der kirchlichen Schule nicht möglich war. Dazu kam, daß die Verhandlungen mit dem Staat sich sehr lange hinzogen. Auch die Organisation der deutschen Regierungsstellen und ihre allmähliche Lösung von der Militärregierung mußte sich ja in diesem jahr erst entwickeln. Aus "Greater Hesse" wurde der Staat Groß-Hessen mit dem Regierungssitz in Wiesbaden. Ein Ministerium wurde errichtet, und die im einen Monat vorbesprochenen organisatorischen und beamtenrechtlichen Einzelfragen mußten im nächsten Monat einem neuen Referenten vorgetragen werden, der der Materie zunächst fremd gegenüberstand.
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Aber die zähe Beharrlichkeit von Herrn Pfarrer Schmidt überwand schließlich alle Hindemisse. Das große Schulgebäude wurde am 15. Oktober 1946 von dem auf Wunsch der Amerikaner eingewiesenen Lazarett geräumt, und am 21.0ktober 1946 konnte die Schule durch einen Festgottesdienst eröffnet werden. Die nachfolgend abgedruckte Ordnung mag einen Eindruck geben von den Empfindungen, mit denen der Beginn des Lebens der Schule begrüßt wurde.
Feier der Eröffnung
des evangelischen landeskirchlichen Realgymnasiums mit gymnasialem Zug
Laubach
in der Stadtkirche, 21. Oktober 1946.
Die Losung des Tages:
Ich will unter euch wandeln und will euer Gott sein;
so sollt ihr mein Volk sein. 3. Mose 26, 12.
O r d n u n g :
Präludium; Einzug der Geistlichuen, der Schulgemeinde mit Lehrem.
Lied 135, 1-4: Lobe den Herrn, den mächtigen König . . .
Liturgie.
Musikstüdc. Frl. Franke (Violine), Herr Oppenheimer (Cello),
Frau Bias (Orgel).
Ansprache des Herrn Präsidenten der Kirchenregierung, Herrn Oberkirchenrat Dr. Müller.
Lied 244, 2: lch bin das Licht, ich leucht euch für . . .
Ansprache von Herrn Pfarrer Goethe: "Ich will euch segnen, und ihr sollt ein Segen sein."
Lied 244, 5: Fällt’s euch zu schwer, ich geh voran
Ansprache des Ortspfarrers und Kurators der Schule.
Lied 244, 7: So laßt uns denn dem lieben Herm
Musikstück.
Gebet und Vaterunser.
Ansprache von Herrn Oberstudienrat Dr. Krämer.
Segen.
Lied 131, 3: Lob, Ehr und Preis sei Gott.
I) Walter Schmidt:
1. Kor. 3, 11
Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
Alle: Hebr. 13, 8
Jesus Christus gestem und heute und derselbe auch in Ewigkeit.
II) Hermann Roeschen:
Klagelieder 3, 27
Es ist ein köstlich Ding einem Mann, daß er das Joch in seiner Jugend trage.
Alle : Hiob 28, 28
Siehe, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit; und meiden das Böse, das ist Verstand.
III) Mechthild Schmidt:
Hebr. 12, 28
Darum, dieweil wir empfangen ein unbeweglich Reich, habenwir Gnade, durch welche wir sollen Gott dienen, ihm zu Gefallen, mit Zucht und Furcht.
Alle: 2.Tim. 1,7
Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht.
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Nach dem Gottesdienst in der Kirche fand in der Aula ein ,,Festessen" statt, das durch Spenden von verschiedenen Seiten ohne Lebensmittelmarken gegeben werden konnte. Wenn sich der Verfasser recht erinnert, bestand es aus Kartoffeln und Krautsalat. Bei dieser Gelegenheit begrüßte ein Vertreter des Landkreises Gießen die neuerrichtete Anstalt.
Die Schule umfaßte 138 Schüler, die sid1 auf die Klassen Sexta bis Untersekunda verteilten; diese Schüler wurden von sechs Lehrern unterrichtet. Es waren dies: Herr Oberstudienrat Dr. Philipp Krämer, Herr Studienrat Hagemann, Fräulein Stud.-Ass. Franke, Fräulein Dr. Steimer, Herr Stud.-Ref. Erich Gölz, Herr Pfarrer Schmidt.
Der erste Leiter der neuen Schule, Herr Dr. Philipp Krämer ist in weiten Kreisen durch seine schriftstellerische Tätigkeit (Verfasser zahlreicher Jugendbücher und Herausgeber von Jugendzeitschften) bekannt. Er ist geborener Darmstädter und hat seine Erfahrungen als Lehrer, Direktor und väterlicher Freund junger Menschen unermüdlich der Schule und den Schülern zur Verfügung gestellt. Seine bedächtige Art des langsam Wachsen Lassens war für die Unruhe der Zeit der einzig richtige Weg. Die Schule wuchs ganz von selbst, ja fast schneller, als die äußeren Voraussetzungen für eine Vergrößerung geschafft werden konnten. Schon an Weihnachten 1946 zeigte sich, daß die sechs Lehrer für den Unterricht von sieben Klassen nicht ausreichten. Zwar war es bei den teilweise geringen Schülerzahlen (Obertertia 10, Untersekunda 12, Unterprima 4) möglich, Klassen in einzelnen Fächern gemeinsam zu unterrichten. Dies um so mehr, da die Schüler vorher viele verschiedene Anstalten besucht bzw. wegen der durch Kriegshandlungen ausgefallenen Stunden nicht besucht hatten und von einem einheitlichen Wissensstand keine Rede sein konnte. Doch bedeutetet für Schüler und Lehrer der Unterricht, der fast ausschließlich in den Hauptfächern erteilt wurde, eine zu große Anstrengung, die bei den knappen Lebensmittelzuteilungen teilweise die Gesundheit angriff. Chemie, Biologie, Turnen, ja selbst Geschichte und Geographie konnten nicht unterrichtet werden, weil die Lehrer fehlten. Ganz allmählich besserten sich diese Verhältnisse im Laufe des Jahres 1947. Zunäd1st wurde der Verfasser dieses Berichts, der schon seit dem Sommer 1946 um seine Freigabe aus dem hessi schen Staatsdienst nachgesucht und an der Einweihung am 21. Oktober 1946 teilgenommen hatte, vom Staat beurlaubt. Später trat Herr Stud.-Ass. Gerhard d'Amour in das Kollegium ein, und allmählich besserten sich auch die Lebensverhältnisse.
Auch die Militärregierung hatte die Unterernährung der Schulkinder eingesehen und eine Schulspeisung eingeleitet, an der — im Gegensatz zu den meisten anderen Schulen — das Kollegium nicht teilnahm, weil die Lebensmittel für die Gesunderhaltung der Kinder bestimmt waren. Herr Dr.
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Krämer, der fast bis Kriegsende Direktor der deutschen Schule in Helsinki gewesen war, schilderte seinen finnischen Freunden die Not der ihm anvertrauten Menschen. Er erreichte es, daß vieles dringend Notwendige von dort geschenkt wurde. Die in kleineren Paketen eintreffenden Kleidungsstücke und Schuhe verteilte er dorthin, wo er die Bedürftigkeit selbst gesehen hatte. Schreibpapier, Bleistifte, Federhalter usw. erhielten die Klassenführer in geringen Stückzahlen zur Weitergabe. Die freudigste Erregungherrschte,als es ihm gelungen war, ein etwa 150 Liter enthaltendes Faß Lebertran zu erhalten. Jeder Schüler konnte eine Flasche Tran mitbekommen, so daß in manchen Familien sogar mit Lebertran Bratkartoffeln zubereitet wurden.
Dadurch, daß einige ältere Schüler den Versuch, die in Kriegs- und Nachkriegswirren versäumte Ausbildung nachzuholen, aufgaben, verringerte sich die zwischendurch auf 146 gestiegene Schülerzahl bis Herbst 1947 wieder auf 139.
Am 13. Mai 1947 wurde endlich der mit dem Datum vom 1. April 1946 zwischen der Evangelischen Landeskirche und der Stadt Laubach geschlossene Vertrag vom Hessischen Staatsministerium genehmigt. Damit war auch ihr Rechtsstatus als staatliche Ersatzschule und die Verpflichtung des Staates zur Anerkennung der hier abgeleisteten Dienstzeiten usw. gesichert.
Das Kollegium war inzwischen auf neun angewachsen (Frau Stud.-Ass. Dr. Putscher, Stud.-Ass. d’Amour, Stud.Ref, Dr.-Ing. Gerschlauer), so daß der planmäßige Unterricht außer in Turnen und Biologie durchgeführt werden konnte. Regelmäßige Leibesübungen wurden zwar nicht angesetzt, doch führten die meisten Kollegen bei entsprechendem Wetter Spiele und Medizinballübungen im Schulhof durch. Die Belastung des Kollegiums in diesem Sommer 1947 und Winter 1947/48 war durch die Trennung der seither teilweise gemeinsam unterrichteten Klassen sehr hoch. So hatte der Direktor selbst fast 20 und die Kollegen 27 bis 29 Wochenstunden Unterricht zu erteilen. Im Sommer 1948 ergab sich eine Entlastung dadurch, daß Herr Musikdirektor A. Wieber den bis dahin von Fräulein Studien-Assessorin Franke geleiteten Musikunterricht übemahm. Im Herbst 1948 besuchten 145 Schüler die Anstalt. Der hessische Staat entschloß sich zu diesem Termin, die alte Schuljahreinteilung wieder einzuführen. In Anbetracht des allgemein unregelmäßig gehaltenen Unterrichts wurde das Schuljahr bis Ostern 1949 verlängert und besonders begabten Schülern die Erlaubnis gegeben, nach den Herbstferien ohne Versetzung in die nächsthöhere Klasse einzuspringen. Diese Verlängerung des Schuljahres konnte um so besser verantwortet werden, weil die letzte ordnungsmäßige Versetzung in Hessen im Herbst 1944 stattgefunden hatte.
lm Herbt des Jahres 1948 schloß die erste Oberprima unseres Landeskirchlichen Realgymnasiums ihre Schülerzeit mit der Reifeprüfung ab. Die Prüfung wurde unter Vorsitz von Herrn Prof. König aus Gießen, der vom Ministerium beauftragt war, abgehalten. Sie schloß mit der Erteilung der Reifezeugnisse an folgende Abiturienten; Renate Schmidt, Laubada; Reinhold Deubel, Wetterfeld; Walter Schmidt, Laubach; Michael Groddeck, Laubach. Von diesen vieren ist Renate Schmidt im Jahre 1956 an den
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Nachwirkungen einer Operation ganz unvermutet verstorben. Als angehende Assessorin wurde sie mitten aus ihrer Tätigkeit herausgerissen. Die Schule gedenkt ihrer ersten Abiturientin mit besonderem Dank für die Treue, die sie der Anstalt auch nach dem Abgang bewahrte und die sie durch ihre Tätigkeit im Kreis der Altschülerschaft unermüdlich bewies.
Am 8. November 1948 erhielt unsere Schule im Rahmen einer Feierstunde in der Aula den Namen „Paul-Gerhardt-Schule". Diese Namensänderung wurde auf Antrag der Kirchenregierung mit dem Datum vom 19. Oktober 1948 durch das Hessische Staatsministerium festgesetzt. In dem Erlaß wurde gleichzeitig angeordnet, daß der Zusatz "Realgymnasium mit Gymnasium" zu führen sei.
Im Frühjahr 1949 wurde das Kollegium durch Herrn Lehrer Lotz verstärkt. Herr Lotz war als Reallehrer an der deutschen Schule in Helsinki unter Herrn Dr. Krämers Leitung tätig gewesen und wurde auf dessen Antrag von der staatlichen Schulverwaltung zum Dienst an unserer Schule beurlaubt.
Nach den Osterferien konnte im Schloß das 2. Alumnat eingerichtet werden. Es erhielt seine besondere Note dadurch, dass nur stimmlich begabte Jungen aufgenommen wurden und Herr Wieber in kurzer Zeit einen Chor schuf, der nach wenigen Jahren einen weithin bekannten Ruf genoß.
Am 1. Oktober 1948 war die Schülerzahl 145 gewesen. Da an Ostern 1949 keine Oberprima abging, aber zwei Sexten aufgenommen wurden, erhöhte sich die Schülerzahl auf 195. Fräulein Dr. Martha Neubauer, die vorher als Oberschullehrerin in Limburg tätig gewesen war, trat Ostern 1949 zur Paul-Gerhardt-Schule über. Dadurch konnte endlich auch Unterricht in Biologie erteilt werden. Der Religionsunterricht, der bis dahin von Herrn Dr. Krämer und Herrn Pfarrer Schmidt versehen worden war, verlangte nun mehr Unterrichtsstunden, da alle Klassen auch in diesem Fach getrennt unterrichtet werden sollten. Daher wirkte ab Ostern 1949 auch Herr Pfarrer Traum als Religionslehrer an der Schule.
Allmählich hatte sich im Lande Hessen die Kunde der Alumnatsschule der Kirche in Laubach verbreitet, so daß in diesem Jahr ein bedeutender Zustrom von Schülern aller Altersstufen einsetzte. Bis zum 1. Mai 1950 war ein Stand von 235 Schülern erreicht. lm Frühjahr 1950 trat mit Herrn Studienrat Rudolph Stephan aus Worms der schon so lange vermißte Fachlehrer für alte Sprachen in das Kollegium ein. Nad1 den Osterferien konnten als weitere Hilfen Fräulein Studienrätin Kissel und Herr Stud.Ass. Fischer von den Kollegen begrüßt werden. Bald darauf kam auch Herr Studienrat A. Roeschen, x als ehemaliger Fridericianer und Laubacher Bürger besonders eng mit dem Schulleben verbunden ist, in das Kollegium.
Im Frühjahr 1950 entschied sich das endgültige Fortbestehen der Schule. Wie schon erwähnt, war der erste Vertrag zwischen der Stadt Laubach und der damaligen Evangelischen Landeskirche 1946 zunächst nur auf zwei Jahre abgeschlossen worden. Er war später verlängert worden, doch ist eine Schule in gemieteten Räumen nur schwer zu führen. Alle aus der dauernd sich ändernden Schülerzahl folgenden räumlichen Wünsche können nur schwer mit dem Haushaltsplan einer anderen Behörde in Einklang gebracht werden.
Es war daher von entscheidenden Folgen, als sich die Synode der neuen
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Evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau entschloß, einen Betrag für den Ankauf des Schulgrundstückes mit allen Gebäuden für das Frühjahr 1950 vorzusehen.
Am 22. März 1950 wurde das Grundstück in feierlicher Form an die Landeskirche übergeben, und nun konnten auch die dringend notwendigen baulichen Änderungen und Erweiterungen geplant werden.
Ab Herbst 1950 wurde auf Anordnung des Ministeriums die seither fünfstufige Notenskala durch die sechsstufige Skala (sehr gut, gut, befriedigend, ausreichend, mangelhaft, ungenügend) ersetzt.
Allmählich hatten sich nun die Nachwirkungen des Krieges im äußeren Leben beruhigt, und wie in den zerbombten Städten die Trümmerplätze mit neuen Häusern besetzt wurden, konnte in den stetigem Wachsen ein ruhiger Auf- und Ausbau der Schule erfolgen. 1950 und 1951 wurde nur je eine Sexta eröffnet, weil einfach keine Räume zur Verfügung standen. ln diesen Jahren war es schon notwendig, eine Klasse in einem viel zu kleinen Dachzimmer unterzubringen und mit einer anderen einen Teil der Aula, der mit Schulbänken vollgestellt wurde, zu besetzen.
Zwar gelang es endlich, das Haus des alten Fridericianums ganz von fremden Mietern zu befreien, doch mußte das erheblich angewachsene Alumnat gleidizeitig einen weiteren Raum an die Schule abgeben, so daß zwei Klassen dort Platz fanden. Die beiden Alumnate wuchsen ständig (1951: 54 Alumnen), und es ist auch heute nodw erschütternd, zu beobachten, wie die Schäden des Krieges an den Menschen nicht beseitigt werden können. Auch noch heute, elf Jahre nach Kriegsende, ergießt sich eine Flut von Anfragen nach Alumnatsplätzen über den Direktor und die Alumnats leiter, und nur in ganz seltenen Fällen sind die zu Grunde liegenden Nöte unabhängig vom Kriege entstanden.
Am 19. Februar 1951 fand die 2. Reifeprüfung an unserer Anstalt statt. Alle 13 Abiturienten haben die Prüfung, die unter dem Vorsitz von Frau Oberstudiendirektorin Dr. Jacobi aus Gießen abgehalten wurde, bestanden.
Die Schüler dieser Klasse brachten von sich aus den Gedanken, ihrem Klassenführer Dr. Krämer eine besondere Freude zu bereiten, zur Reife. Sie führten am 10. März 1951 den Urfaust in einer so ausgezeichneten Form auf, daß sich manches Stadttheater dieses Abends nicht hätte schämen müssen.
Im Juni 1950 wurde zum ersten Male der oft erwogene Wunsch zur Wirklichkeit, mit den an unserer Schwesterschule in Rimbach tätigen Kollegen und Kolleginnen gemeinsame Fragen zu erörtern. Die beiden Kollegien trafen sich drei Tage in Hohensolms, und sie machten die Erfahrung, daß es trotz aller Verschiedenheit in den äußeren Gegebenheiten doch eine gemeinsame tragende Grundlage in den beiden Schulen gibt.
Wie schon kurz erwähnt, waren die Kriegsschäden an den Menschen nicht behoben. Dies zeigte sich auch am Gesundheitszustand der Lehrer, denen zwei (Herr Stud.-Ass. d’Amour und Fräulein Dr. Steimer) je zehn Wochen krank waren. Die Besserung der äußeren Verhältnisse hat auch bis heute diese Schäden nicht beheben können, und immer wieder müssen Damen und Herren des Kollegiums, die ihre Kräfte übermäßig anstrengten, weil sie ihren Dienst ernst nahmen, dies mit wochen- und monatelanger Dienstunfähigkeit büßen.
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In diesem Jahr bildete sich auch der Kreis der Freunde der Paul·Gerhardt-Schule, dessen finanzieller Unterstützung die Schule sehr viel verdankt.
Im Jahre 1951 reiften allmählich die Pläne zur Errichtung eines Erweiterungsbaues heran. Gleichzeitig machte sich die vorhin erwähnte gesundheitliche Schädigung aber auch an unserem verehrten Direktor Dr. Krämer bemerkbar. Er entschloß sich, die Kirchenleitung um seine Abberufung zu bitten, da ihm die Ärzte seine anstrengende Tätigkeit untersagt hatten. Am 30. September 1951 ging er in den Ruhestand und gab sein Amt an Oberstudiendirektor im Kirchendienst Dr. Franz Hildebrandt ab. Herr Dr. Hildebrandt hatte an der Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule in Bethel vielfältige Erfahrungen gesammelt, wie das Leben einer von evangelischem Geist getragenen Schule mit Internat zu gestalten ist. Am 11. Oktober 1951 wurde er von Herrn Kirchenpräsident Niemöller im Rahmen des Eröffnungsgottesdienstes für das Winterhalbjahr in seinen Dienst eingeführt. Am gleichen Tag hielt er in einem Saal des Laubacher Schlosses einen Vortrag über das Thema: „Vom Sinn einer kirchlichen Schule", in dem er die Notwendigkeit evangelischer Schulen vom Evangelium und vom Verständnis der heutigen geistigen Situation her begründete. Seinem Ziel, die Lehrer zur Besinnung über ihre Aufgabe und damit über tägliche Pflichten der Wissensvermittlung hinauszuführen, dienten die in der Folge regelmäßig abgehaltenen Studienabende. Auch wurde - aus Raumgründen zunächst nur für die Klassen O III bis O I - mittwochs eine 20 Minuten dauernde Andacht eingerichtet, in der einige Lehrer den jeweiligen Wochenspruch auslegten.
Am 7. März 1952 bestanden wiederum x Abiturienten die Reifeprüfung unter dem Vorsitz des staatlichen Referenten unserer Schule, Herrn Oberregierungs- und -schulrat Dr. Dr. Döhner aus Wiesbaden. An Ostern verließ Herr Lehrer Lotz die Schule, da seine Beurlaubung aus dem Staatsdienst abgelaufen war, und an dessen Stelle trat Herr Lehrer Eifler, der sich mit viel Mühe und Erfolg der Pflege des Volkstanzes und der Ausgestaltung unserer regelmäßig zum Johannistag und zum Sommerfest (Tag der Paul-Gerhardt-Schule) im Steinbruch abgehaltenen Spiele widmete.
Vom Staat wurden der Schule die notwendigen Lehrer zugewiesen, und so kamen die Studienassessoren Prüfer, Gröbel und Dr. Steinhäuser zu uns. Frau Stud.-Ass. Knauß erhielt die Unterrichtsgenehmigung für eine halbe Stelle und erteilte einen Teil des Deutschunterrichts in der Oberstufe.
Durch die Belegung der Aula mit einer Klasse mußte der Musikunterricht schon längere Zeit in den Räumen des Singalumnates abgehalten werden, was die Ordnung im Schulbetrieb erschwerte und dem Leiter erhöhte Verantwortung für den Hin- und Herweg aufbürdete.
Der Finanzausschuß der Landessynode hatte sich im Dezember 1951 von der Berechtigung unserer Erweiterungswünsche durch einen Besuch in Laubach überzeugt, und so wurden dann die Mittel bewilligt, um den heutigen Aulabau im Herbst 1952 zu beginnen. Leider mußte der von Herrn Architekt Schuhmacher, Gießen, nach den Wünschen der Schulleitung angefertigte Entwurf in einigen entscheidenden Punkten auf Anordnung der
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Baubehörde geändert werden. Die Behörde bestand aus grundsätzlichen Erwägungen heraus darauf, die drei Klassenzimmer auf die Ostseite des Gebäudes zu legen, so daß der Straßenlärm den Unterricht oft minutenlang - bei Manövern, die hier jedes Jahr ein- bis zweimal stattfinden, sogar stundenlang - unmöglich machte.
Im März führte die abgehende Oberprima den ,,Prinzen von Homburg" auf, und die Unterprima hatte im Winter geschlossen an einer Tagung der Evangelischen Akademie teilgenommen. Sie wirkte in den jungen Menschen nach, so daß beschlossen wurde, im nächsten jahr gemeinsam den Kirchentag in Stuttgart zu besuchen.
lm Februar fand in den Räumen des Schlosses das erste Winterfest der Oberstufe mit den Eltern der Schüler und den Lehrerehepaaren statt. Eine Einrichtung, die sich von da ab fest in der Schule verwurzelt hat. Die Durchführung des geselligen Teils der Winter- und Sommerfeste ist allmählich ganz auf die Schülermitverwaltung übergegangen, die organisatorische Erfahrungen gesammelt hat und sie von Jahr zu Jahr an die nachfolgende Gruppe weitergibt.
Die im Laufe des Jahres immer wiederkehrenden Feste sind ein ganz wesentlicher Teil des Schullebens geworden. Erziehung geschieht ja viel weniger durch Dozieren als durch Vorleben und durch den Einfluß des Umgangstones und des Verhaltens bei allen Gelegenheiten. Für Lehrer und Schüler sind darum diese Gelegenheiten, bei denen die Gemeinsamkeit unbewußt in Erscheinung tritt, von entscheidender Bedeutung. Sie seien daher hier einmal aufgezählt, wie sie jedes jahr aufeinander folgen: Am Fastnacht-Montagabend ist das Winterfest; ohne Karnevalschmuck und ausgelassenes Treiben, aber in fröhlichem Laienspiel, Tanz und Einzeldarbietungen. Hierauf folgt die Abschiedsfeier der Abiturienten, die meist gegen Ende März liegt. Sie wird vormittags in Gegenwart aller Schüler und der Primaner-Eltern in der Aula in würdiger Weise gestaltet.
In den ersten Wochen des neuen Schuljahres findet meist eine gemeinsame kleine Wanderung aller Lehrer mit ihren Ehegatten statt. Einmal wurde statt dieser Veranstaltung gemeinsam eine Tagung der Evangelischen Akademie Amoldshain besucht.
Am Johannistag werden, wenn es irgend möglich ist, die Bundesjugendspiele abgehalten, und am Abend treffen sich die Schüler ab Untertertia mit den Lehrern am Feuer im Steinbruch zu einer Feierstunde, die der Besinnung auf die Bedeutung dieses Tages dient. Anfang September findet dann der Tag der Paul-Gerhardt-Schule statt, bei dem sich die Altschüler am Samstag treffen und mit allen Lehrern am Abend eine Wiedersehensfeier im Schützenhof haben. Der Sonntag beginnt mit dem Festgottesdienst in der Kirche, zu dem viele Schülereltern nach Laubach kommen. Anschließend wird in der Aula ein wissenschaftlicher Vortrag gehalten. Nach einem fröhlichen Nachmittag im Steinbruch, an dem vor allem die jüngeren Schüler etwas darbieten, lädt die Schülermitverwaltung, wie schon erwähnt, zu einem geselligen Beisammensein in der Aula ein. Das Jahr wird durch eine Vor-Weihnachtsfeier des Kollegiums am Abend vor dem letzten Schultag beschlossen. Dieser Abend, der mit den Ehefrauen begangen wird und in dem außer einer biblischen Besinnung und dem
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Anhören der Weihnachtsgeschichte die stille Unterhaltung mit Rückblick und Vorschau den Ton angeben, ist ein guter Abschluß der gemeinsamen Arbeit im zu Ende gehenden Jahr.
Der letzte Schultag vor Weihnachten beginnt vor Morgengrauen in der Stadtkirche mit der Aufführung des vom ersten Leiter der Schule, Dr. Philipp Krämer, gedichteten Krippenspiels. Danach findet kein Unterricht mehr statt.
Das ganze Tun und Leben der Schule aber werden getragen vom regelmäßigen Anhören des Wortes Gottes. Täglich versammelt sich die ganze Schule morgens fünf Minuten zu einer Andacht mit Wochenspruch, Bibeltext, Lied und Gebet, am Mittwoch 20 Minuten zu einer Auslegungsandacht. Zu den letzten Schultagen vor größeren Ferien und zu Beginn nach diesen Ferien wird die Andacht meist vom Mittwoch auf diesen Tag verlegt, Sommer- und Winterhalbjahr werden mit einem Gottesdienst in der Kirche begonnen.
Diese regelmäßige Besinnung auf die Bibel ist eine unerläßliche Bedingung für das Leben einer evangelischen Schule. Wesentlich ist, daß auch hierbei die Ordnung nicht zur leeren Gewohnheit wird, und dies wird für Lehrer und Schüler dadurch erleichtert, daß sich viele Lehrer an der Auslegungsarbeit beteiligen und alle übrigen Lehrer sich bei der kurzen Frühandacht wöchentlich abwechseln. Auch die Oberklassen nehmen für die längeren Mittwochsandachten Verantwortung auf sich, indem sie in der Adventszeit ihre Gestaltung übernehmen.
Wie oben erwähnt, war der Erweiterungsbau finanziell gesichert, und am 7. August 1952 konnte der Grundstein feierlich gelegt werden. Schon zweieinhalb Monate später konnte für den großen Bau, der eine Grundfläche von etwa 12X30 Meter mit Kellergeschoß, Erdgeschoß und Aula umfaßt,
das Richtfest gefeiert werden. Allerdings war es im Frühjahr 1953 nicht möglich, die Fertigstellung so zu beschleunigen, daß die Räume für das neueSchuljahr an Ostern beziehbar waren. So wurde die alte Aula in zwei Klassenräume geteilt, und die Andacht mußte für die Sommermonate in das Kellergeschoß des Neubaues verlegt werden.
Die Reifeprüfung fand am 27. Februar 1953 unter dem Vorsitz des neuen staatlichen Referenten Oberregierungs- und -schulrat Dr. Gerhard statt. Sie wurde von 14 Abiturienten, wieder der gesamten Klasse, bestanden.
Seit Herbst 1952 war an der Paul-Gerhardt-Schule ein Anstaltsseminar für Studienreferendare eingerichtet worden, so daß von nun ab in jedem Jahr zwei Referendare an unserer Schule ihr erstes Ausbildungsjahr zubrachten.
Am 7. Januar 1953 trat die Mittelschullehrerin Anne Nebel (heute Frau Anne Fellner) in das Kollegium ein, und ab Ostern verließen es zwei langjährige Mitglieder, nämIich Frau Stud.Ass. Knauß, die durch die Versetzung ihres Mannes von Laubach getrennt wurde, und Stud.-Ass. Fischer, der beim hessischen Staat zur Beförderung zum Studienrat heranstand. Dafür trat an Ostern Studienassessor Rodenhausen in den Dienst unserer Schule.
Inzwischen war es gelungen', das ehemalige Hotel "Solmser Hof" als Alumnatsgebäude zu ermieten, und mit Beginn des Schuljahres 1953/54
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konnten dort unter Leitung von Herrn Stud.-Ass. Gröbel und Frau weitere 30 Jungen aufgenommen werden. Das neue Alumnat wurde nach Graf Friedrich-Magnus genannt, der im jahre 1554 in Laubach die Reformation einführte und 1555 die Lateinschule gründete.
Das Singalumnat war inzwischen zu einem so beachteten Chor herangewachsen, daß es in den Herbstferien eine Singefahrt nach Süddeutschland unternehmen konnte. Mit der Vergrößerung und Verbesserung des Chors konnten dann diese Fahrten in den Herbstferien zur regelmäßigen Einrichtung werden und führten später das Alumnat im einen Jahr nach Skandinavien, in einem anderen nach Holland.
Zum ersten Tag der Paul-Gerhardt-Schule im Jahre 1952 hatte der Direktor den wissenschaftlichen Vortrag über "Notwendigkeit und Grenzen einer Revision des deutschen Geschichtsbildes" gehalten. Von da ab wurde dieser Tag in der oben erwähnten Form jedes Jahr gefeiert und schafft gerade bei der großen Anzahl auswärts wohnender Eltern eine engere Verbindung zwischen Elternhaus und Schule.
Im Spätsommer 1953 bereiteten sich 38 Schüler und Sdnülerinnen der Oberstufe darauf vor, als Sendgruppe der hessischen Landeskirche zum Kirchentag nach Hamburg zu fahren. Sie führten dort und auf der Reise das Stephanus-Spiel von Bernt von Heiseler und "Die Teufelsbrücke" von Henry Cheon auf.
Am 27. September 1953 konnte der neue Erweiterungsbau anläßlich der diesmaligen Feier des Tags der Paul-Gerhardt-Schule durch eine Festversammlung in der Aula zum ersten Male in Benutzung genommen werden. Nach dem Festgottesdienst, den Kirchenpräsident D. Niemöller in der Stadtkirche gehalten hatte, hielt Herr Oberkirchenrat Knell ein grundlegendes Referat über die Bedeutung der kirchlichen Schulen. Am Nachmittag lud die Oberstufe die Eltern und andere Festgäste in die Aula ein. Dabei wurde vom Kirchentag berichtet und das Stephanusspiel aufgeführt.
Die größte Raumnot war nun behoben, aber die endgültige Lösung stand noch aus. Noch immer mußte eine Klasse im Paul-Gerhardt·Alumnat verbleiben, und die Noträume unter dem Dach des Altbaus waren nicht entbehrlich geworden, weil die Schule schneller wuchs. Es konnten in den Jahren 1953, 1954 und 1955 je eine mit Englisch beginnende realgymnasiale und eine mit Latein beginnende gymnasiale Sexta eröffnet werden. Dadurch waren die gewonnenen Klassenräume sehr schnell wieder besetzt, und Raumwünsche blieben nach wie vor drängend.
Im Herbst 1953 trat Stud.-Ass. Fräulein Elisabeth Junker in das Kollegium ein und im Januar 1954 Stud.-Ass. Schaffert. Das Frühjahr 1954 brachte einen schweren Verlust für die Schule. Unser lieber Kollege Studienrat im Kirchendienst Gerhardt d’Amour erlag am 20. März 1954 der schweren Krankheit, die ihn schon jahrelang gequält hatte. Sein ruhiges und ausgeglichenes Wesen und die tapfere Heiterkeit, mit der er alles Schwere ertragen hatte, werden denen, die ihn kannten, immer in Erinnerung bleiben.
Die Arbeit der Schule aber ging weiter, und die zwölf Oberprimaner des Jahrgangs, die am 17. März 1954 unter Vorsitz des Referenten Herrn Oberregierungs- und -schulrat Dr. Krog alle ihre Reifeprüfung bestanden, wurden feierlich entlassen.
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Zu Ostern 1954 gab es wieder einen Abschied von einer den Schülern und Kollegen unentbehrlich scheinenden Kollegin, Fräulein Dr. Steimer, die von Anbeginn dem Kollegium angehört hatte, verließ uns, um sich mit Herrn Prof. Dr. Ohly zu verheiraten. Stud.-Ass. Prüfer verließ uns ebenfalls, um in Marburg als Studienrat seßhaft zu werden. An Ostem 1954 traten Frau Stud.-Ass. Zänkert und Stud.-Ass. Rühl ins Kollegium ein, so daß der Unterricht wieder voll erteilt werden konnte.
Herrn Wiebers Arbeit hatte sich inzwischen auf den Aufbau eines großen gemischten Chores (Schloßchor) erweitert, mit dem er am 18. Januar 1954 in Grünberg das Requiem von Brahms aufführte.
Am 1. Januar 1954 sd1ied Studienrat Gölz aus dem Verband der Schule und der Leitung des Paul-Gerhardt-Alumnats, um in den Dienst des Deutschen Gemeinde-Diakonie-Verbandes zu treten. Mit ihm verließ wieder einer der schon lange hier tätigen Lehrer die Anstalt. Schüler und Kollegen
empfinden einen solchen Abschied immer wieder herb, doch die Führung des Lebensweges ist nicht in unserer Macht. Sein Nachfolger im Alumnat wurde Herr Lehrer Joh.-Christian Fellner.
Im Jahre 1954 besuchten über 300 Schüler unsere Schule, und über 20 Lehrer waren an ihr tätig. Es ist in unserer Zeit nicht schwer, eine höhere Schule zahlenmäßig anschwellen zu lassen. Wohl aber liegt schwere Verantwortung auf dem Direktor, der aus der großen Zahl all der Anfragen die Fälle heraussuchen muß, bei denen aus unabweisbarer Notwendigkeit heraus keine Absage gegeben werden kann.
Für viele Laubacher Bürger, die früher die Realschule besucht hatten, und für alle Paul-Gerhardt-Schüler war es eine Stunde besonderen Gedenkens, als am 20. Dezember 1954 unser Hausmeister Herr Thier aus dem Dienst ausschied. Er hatte fast 30 Jahre Schulleben in Laubach an sich vorbeiziehen sehen, Vollanstalt, Realschule, Kriegsnot und Paul-Gerhardt~Schule, und war Schülern und Lehrern ein Vorbild würdigen Alters in unermüdlicher Arbeit und ruhiger Freundlichkeit geworden. An seine Stelle trat Herr Richter, ein Heimatvertriebener aus Breslau.
Am 3. März 1955 bestanden wieder alle 13 Oberprimaner ihre Reifeprüfung. Zum ersten Male seit Bestehen der Schule kam der gleiche Referent wie im Vorjahr, Herr Oberregierungs- und -schulrat Dr. Krog, der auch im Laufe der folgenden jahre sein Interesse an unserer Antsalt und ihren Lehrem durch wiederholte Besuche zeigte.
Am 15. Mai 1954 besuchten 348 Schüler und Schülerinnen die Schule, und 26 Lehrer und Lehrerinnen waren - z.T. nebenamtlich - an ihr tätig. Unter den letzteren muß besonders Herr Oberstudiendirektor a.D. Dr. Jochem erwähnt werden, der zu drei verschiedenen Malen jeweils ein halbes oder ein Jahr den Lehrermangel hatte überbrücken helfen.
Ostern 1955 verließen uns Herr Eifler, mit dessen Weggang die Volkstanzgruppe ihr Leben verlor, und Stud.-Ass. Rühl. Dafür traten drei Studienräte aus der sowjetischen Besatzungszone ihren Dienst bei uns an: Studienrat R. Fröhlich, Studienrat Dr. Hartmann und Studienrat Dr. Müller. Herr Plasmans übernahm mit besonderer Genehmigung Unterricht in Französisch und Latein, und im Oktober trat Stud.-Ass. Dr. Tichy in das Kollegium ein.
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Zum Bedauern aller mußte sich Herr Studienrat Gröbel wegen eines im Kriege verursachten Leberleidens einer längeren Kur unterziehen und die anstrengende Arbeit als Alumnatsleiter aufgeben. Im Alumnat folgte ihm am 1. Oktober 1955 der Dipl.-Turn- und -Sportlehrer Theo Clausen, der auch an der Schule den seit Herm Gröbels Krankheit ins Hintertreffen geratenen Unterricht in den Leibesübungen wieder belebte. Herr Gröbel wurde durch die Kur gekräftigt, so daß er den Unterricht an der Schule voll ausüben und sogar am Tag der Paul-Gerhardt·Schule den wissenschaftlichen Vortrag über das Thema: "Der Deutschunterricht im Blickfeld der geistigen
Auseinandersetzung unserer Zeit" halten konnte.
Der Schloßchor brachte unter Herrn Wiebers Leitung im März den "Messias” zur Aufführung (in Grünberg und Laubach) und gegen das Jahresende das ,,Weihnachtsoratorium".
Im Juli 1955 beschloß die Kirchenleitung, das Amt des Kurators an den beiden kirchlichen Schulen Rimbach und Laubach abzuschaffen, da die Anlaufschwierigkeiten für diesen Zweig der kirchlichen Arbeit überwunden waren, Damit verlor die Schule den Mann, der wie kein anderer ein Stück seines Lebens an den Aufbau dieser Anstalt gesetzt hatte. Unermüdlich und mit seltenem Geschick hatte er die Gründung der Schule betrieben und in der materiell so armen Zeit die Mittel zu ihrem Betrieb geschaffen. Er war der Beauftragte der Kirchenleitung am Ort gewesen und hatte mit äußerster Anspannung neben seinem verantwortungsvollen Amt als Ortspfarrer auch diese Riesenarbeit geleistet. Dicke Aktenbände voller Schreiben und Entwürfe zeugen allein von der zeitlichen Belastung, die ein solider Aufbau mit sich bringt. Auch jetzt noch gibt er der Schule seine Hilfe, indem er als Mitglied des Kuratoriums bei der geistigen und geistlichen Führung entscheidend mitwirkt. Der Dank aller, die sein Wirken miterlebt haben, wird ihn begleiten.
Im Jahre 1955 bewilligte die Landessynode die Mittel für den letzten Bauabschnitt der Schule, den sogenannten Zwischenbau, der acht Klassenräume und einen Aufenthaltsraum für die auswärtigen Schüler enthält. Ehe dieser Bau begonnen werden konnte, mußte das Wohnhaus von Herrn Thier abgerissen und eine Wohnung für den neuen Hausmeister Richter im Untergeschoß des Altbaus eingerichtet werden. So kam es, daß der Bau im Winter 1955/56 im Rohzustand stehenblieb und erst zu Pfingsten 1956 bezogen werden konnte. Beim letzten Tag der Paul-Gerhardt-Schule - am 2. September 1956 - wurde er von unseren Gästen besichtigt und in seiner Zweckmäßigkeit begrüßt. Damit sind die notwendigen Klassenräume geschaffen worden, die wir brauchten, um die Straßen-Räume vom regelmäßigen Unterricht freimachen und die letzte Klasse aus dem Paul-Gerhardt-Alumnat herausnehmen zu können. Auch das Dachgeschoß wird nun nicht mehr als Klassenzimmer benötigt.
Die Schule ist damit am Ende ihrer notwendigen Neubauwünsche und hat der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau zu danken für alle Förderung und die Anteilnahme, die ihr von allen Organen der Landeskirche immer wieder entgegengebracht wurden. Wir Lehrer und Schüler aber danken vor allem Gott, daß er uns diese Arbeitsstätte gegeben hat.
Dr.-Ing. Werner Gerschlauer